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Zukunftsperspektiven: Das Piemont ist bunt


Mehr als 4500 Rosenstöcke zieren die Rebzeilen in den Weinbergen des Weinguts Pico Maccario, die Flaschen werden in Verpackungen im Design bunter Malstifte vermarktet; die Geschwister Ceretto posieren vor der bunten Fassade der Barolo-Kapelle, einer von Künstlern gestalteten kleine Kirche inmitten der Weinberge des Weinguts – das Piemont zeigt sich farbenfroh. Mit Offenheit, Zusammenarbeit und modernem Weinbau rüstet man sich für die Herausforderungen der Zukunft.

In Mombaruzzo, 50 Kilometer nordöstlich von Alba im Piemont, brennt die Sonne vom strahlend blauen Himmel. Umgeben vom Rebenmeer des 54 Hektar großen Weinbergs Lavignone stehen weiße Zelte und Pavillons – und jede Menge Traktoren und andere Maschinen in verschiedensten Größen. Emiliano Morando, Export Manager des Weinguts Pico Maccario, strahlt mit der Sonne um die Wette, denn das Weingut ist an diesem Wochenende Gastgeber der Enovitis, der Leitmesse für neueste Technologie im Weinbau in Italien. Mehr als 10.000 Besucher kamen schon am ersten Tag, um sich über die Neuheiten bei Traubenvollerntern, von Satelliten gesteuerte Traktoren oder modernster digitaler Möglichkeiten zur Steuerung von Bewässerung, Pflanzenschutzmittel und Düngermenge im Weinberg zu informieren. Fünfzehn Jahre nach der ersten Ausgabe der Wandermesse im Piemont kehrte die Enovitis wieder an ihren Ursprungsort zurück und man hätte sich kaum ein geeigneteres Weingut aussuchen können, um eine solche Messe voller neuer Technik für einen fortschrittlichen Weinbau zu veranstalten. „Seit Beginn setzen wir hier im Weingut auf möglichst viel moderne Maschinen und Technik“, erklärt Emiliano Morando. Mehr als 70 Prozent der Arbeiten in den Weinbergen werden mit Maschinen durchgeführt, vom Rebschnitt über das Entblättern bis hin zur Lese mit Traubenvollerntern. „In Zeiten der Klimaerwärmung ist der Einsatz von Maschinen essentiell für gute Weinqualität, denn man muss schnell agieren können.“ Schon bei der Gründung des Weinguts 1997 begannen die beiden Brüder Pico und Vitaliano Maccario mit den ersten Versuchen mit dem Traubenvollernter. „Das nimmt dem Weinmachen vielleicht ein wenig die Romantik, ist aber der Schlüssel für die beste Qualität“, sagt der Export Manager lachend. Die modernen Vollernter sind nicht nur schnell, sie verfügen auch über einen innenliegenden Kühlraum, der die Trauben bis zur Verarbeitung im Weingut frisch hält und verhindert, dass sie in der Hitze des Tages schon mit der Gärung beginnen. „Früher waren die mit der Hand geernteten Trauben auf dem Weg ins Weingut schon fast durchgegoren“, übertreibt Emilian Morando augenzwinkernd.

Das Piemont ist neben der Toskana die italienische Weinregion mit der höchsten Reputation. Barolo, Barbaresco, Barbera, Roero Arneis, Gavi, Gattinara – die Liste der berühmten Weine aus der Region rund um die Stadt Turin ließe sich noch lange weiterführen. Bei den Roten machen drei Weine den Kampf um den Primus inter pares unter sich aus: Barolo und Barbaresco, beide aus der berühmten Nebbiolo-Rebe gekeltert, und Barbera, der in den Regionen Asti und Monferrato zur Höchstform aufläuft und dennoch immer ein wenig im Schatten des berühmten Weins der Könige und dessen kleinem Bruder steht.

Auf Pico Maccario ist man davon jedoch ziemlich unbeeindruckt. „The beauty of Barbera“, beginnt Emiliano Morando seine Eloge auf den wichtigsten Wein im Weingut, „die Schönheit des Barbera liegt in seiner Vielseitigkeit. Er ist schon direkt nach der Gärung mit seiner Frische und Saftigkeit perfekt als Rotwein für den Sommer. Aber er kann auch ins Holzfass aus slowenischer Eiche und dort seinen besonderen Stil mit Aromen von getrockneten Früchten und Zimt entwickeln.“ Selbst die internationale Stilistik ist dem Barbera laut Emiliano nicht fremd: „In französischen Tonneaus gewinnt er eine feine Tanninstruktur und eignet sich dann für die Flaschenreife.“ Diese Fähigkeit, nahezu jeden Geschmack zu befriedigen, sieht der Export Manager aber auch als Problem für das Image des Barbera. „Wenn es jedem gefallen kann, wird es schnell gewöhnlich.“ 

Noch schwerer wiegt für Emiliano aber die Tatsache, dass es lange keine klare Stilistik für den Wein rund um Asti und Monferrato gab. „Der Erfolg von Barbera war immer der Erfolg einzelner Produzenten“, bedauert er. Preise von zwei Euro im Supermarktregal schaden dem Image des Weins und machen es schwer, dem Verbraucher die deutlich höheren Preise der hochwertigen Qualitäten zu erklären. Mit dem DOCG-Status, der dem Barbera d’Asti schon 2008 verliehen wurde, stiegen die Anforderungen an den An- und Ausbau des Weins. „Ich bin sicher, da wird sich in den kommenden Jahren noch viel zum Positiven ändern“, ist Emiliano zuversichtlich. Die Qualität der Barberas sei inzwischen grundsätzlich extrem hoch geworden, man habe aber vor allem erkannt, dass von einer Zusammenarbeit statt Konkurrenzdenken in der Region alle profitieren. „Wir sind inzwischen weg vom Image der Massenweine.“ Das gelte es mit einer Schärfung des Weinstilistik und gemeinsamem Marketing auch zu kommunizieren. 

Längst hat aber auch der klimatische Wandel den Stil der Weine verändert. „In den 90ern musste man in der Region noch Wein aus anderen Regionen zukaufen, um Farbe und Alkohol in die Weine zu bekommen. Heute haben wir in einem normalen Jahr 14 Prozent Alkohol in unseren Basisweinen.“ Um gut zwei Wochen habe sich der Erntebeginn inzwischen nach vorne verschoben. Das sei aber langfristig auch die größte Herausforderung für die Weingüter: „Bewässerung ist im italienischen Weinbau verboten. Mit der Trockenheit und der Hitze in den Weinbergen umzugehen, wird unsere größte Aufgabe werden.“ Die natürliche Säure des Barbera sei da ein großer Vorteil für die Zukunft.

Auch im rund 60 Kilometer entfernten Weingut Ceretto südlich von Alba hat sich der Weinbau in den vergangenen Jahren den neuen Umständen anpassen müssen. „Es wir hier davon geredet, die großen Lagen einfach nach oben zu verlegen, um kühlere Temperaturen zu bekommen. Das ist natürlich Unsinn“, sagt Mattia Pagliasso, Export Manager des Familienunternehmens. Drei Weingüter gehören zum Portfolio der vier Geschwister Alessandro, Lisa, Federico und Roberta Ceretto. Das Herzstück ist Monsordo Bernardina, wo allein auf 80 Hektar die weiße Arneis Traube für den wichtigsten Weißwein des Weinguts, den Langhe Arneis Blangè wächst. Die Wurzeln der Familie liegen jedoch nördlich der Stadt Alba, im Weingut Bricco Asili, wo Bruno and Marcello Ceretto 1973 in unmittelbarer Nähe des Weinguts von Angelo Gaja ihre ersten Weine aus eigenen Weinbergen kelterten und wo man sich bis heute ausschließlich dem Barbaresco widmet. Erst knapp zehn Jahre später begannen die beiden Brüder sich in der Langhe auf dem Weingut Bricco Rocche mit Barolo auseinanderzusetzen. Heute besitzen sie Weinberge in berühmten Lagen wie Cannubi, Brunate und Bussia und produzieren dort fünf verschiedene Barolos. Ein viertes Projekt bewirtschaften sie gemeinsam mit der Familie Scavino in Santo Stefano, wo Moscato und Asti Spumante das Portfolio ergänzen. In der Region gilt Ceretto als eines der besten Weingüter, das mit dem eigenen Qualitätsanspruch ein Aushängeschild der Langhe ist und als Innovationstreiber auch eine Führungsrolle in der Region innehat. Das Selbstverständnis der Familie als Botschafter der Langhe-Region geht jedoch weit darüber hinaus: Mit dem La Piola haben sie in Alba ein Sternerestaurant mit der typischen Küche des Piemont eröffnet, ihr Engagement für Gastronomie, Kunst und Architektur ist weit über die Region hinaus bekannt.

„Das Jahr 2000 war ein Wendepunkt für den Weinbau hier in Langhe“, erklärt Mattia Pagliasso. Bis zu diesem Zeitpunkt folgte die Ernte einer relativen Regelmäßigkeit. „Seitdem ist in jedem Jahr alles wieder neu und das ist sehr herausfordernd“, so der Export Manager. Laubmanagement und die Bodenbearbeitung haben sich essentiell verändert, die Anzahl der Trauben, die im Weinberg gewünscht wird, wurde nach unten angepasst. „Natürlich kommen die höher gelegenen Weinberge viel besser mit den Temperaturen im Sommer zurecht“, so Mattia Pagliasso. „Was früher zu hoch erschien, ist heute von Vorteil.“ Der Barolo in der Lage Prapo beispielsweise liegt auf fast 400 Metern Höhe und wird bis zu zehn Tage nach den restlichen Barolos gelesen. Das verleiht den Weinen eine knackige Säurestruktur und ermöglicht dennoch reife Tannine.

„Als Alessandro seinen Vater Marcello Ceretto als Weinmacher abgelöst hat, war das eine kleine Revolution im Keller und im Weinberg.“ Seit zehn Jahren werden die Reben nun biodynamisch bewirtschaftet, die ersten Ergebnisse zeigen sich aber erst jetzt. „Wir beobachten, dass die Reben heute viel gesünder und vor allem widerstandsfähiger sind“, sagt Pagliasso. Noch wichtiger seien für Alessandro Ceretto aber die deutlichen Jahrgangsunterschiede, die sich in den Weinen zunehmend zeigen. Dem spielt mit Sicherheit auch die frühere Ernte, eine deutliche kürzere Zeit auf der Maische und der reduzierte Einsatz von neuem Holz in die Karten. „Die Weine sind frischer, zeigen mehr Eleganz und sind auch jung schon viel zugänglicher“, erklärt der Exportmanager. Ihrer grundsätzlichen Fähigkeit auch zu reifen, tue das allerdings keinen Abbruch. Diese Entwicklung im Weinberg und im Keller sei aber keinem Trend geschuldet, sondern in erster Linie eine Anforderung der veränderten klimatischen Bedingungen.

Um die biodynamische Bewirtschaftung von mehr als 100 Hektar Weinbergen stemmen zu können, arbeitet ein 50-köpfiges Team in den Weinbergen. Das wirkt wie der gezielte Gegenentwurf zu Pico Maccario, wo ganze neun Mitarbeiter den Fuhrpark und die Maschinen bedienen und damit gut 70 Hektar Reben pflegen. „Für viele ist biodynamisches Arbeiten noch immer etwas undurchsichtig, für uns ist es eine wichtige Investition in den Boden und damit in die Zukunft. Denn der Boden in den Weinbergen ist unser wichtigstes Kapital.“ Viel Zeit investieren die Cerettos in die Ausbildung ihres Teams, um die aufwändige Arbeit in den Weinbergen auch auf hohem Niveau bewältigen zu können. Ihr Wissen geben sie gerne weiter. „Wir haben auch schon Seminare organisiert, um unsere Erfahrungen in biodynamischem Weinbau weiterzugeben.“ Damit bestätigt Mattia Pagliasso die Erfahrung auf Pico Maccario. „In jüngster Zeit findet unter den Winzern in der Region viel mehr Austausch statt. Der Zusammenhalt hat sich verändert, die Weinmacher haben verstanden, dass es bei allem Wettbewerb ein Vorteil ist, Teil einer Gruppe zu sein.“


Während in den traditionellen Nebbiolo-Regionen im Süden des Piemont Winzer sich stilistisch neu orientieren, entdecken andere das Potenzial des deutlich kühleren Piemonteser Nordens für den Nebbiolo. „Alto Piemonte is on fire“, zitiert die Fachseite thedrinkbusiness.com einen Weinmacher, der den Norden als Schlüsselterroir für die Zukunft des Nebbiolos sieht. Im Hause Ceretto lässt man sich davon nicht beeindrucken. „Es ist die gleiche Sorte, aber die Gegebenheiten sind komplett unterschiedlich und schlussendlich profitieren alle von der Vielfalt. Die Winzer ebenso wie die Weinliebhaber, für die das sehr spannend wird zu entdecken“, bleibt Mattia Pagliasso gelassen.

In der Vergangenheit hat das Piemont schon mehrfach bewiesen, dass es stilistische Veränderungen zu seinem Vorteil nutzen kann. Einer der wichtigsten Protagonisten der Wandelbarkeit der Region ist kein geringerer als Angelo Gaja. Der hatte schon als junger Mann dem Barbaresco mit dem bis dahin nicht üblichen Ausbau in Barriques und dem Verschnitt mit internationalen Rebsorten einen neuen Stil und ein neues Image verliehen. Seine Tochter Gaia führt dieses Prinzip der Offenheit für Modernisierung und stilistische Erneuerung heute weiter. Teil dieser Modernisierung ist das veränderte Weinbergsmanagement: eine umfangreiche und durchdachte Begrünung mit einem hohen Anteil von Gerste, die für mehr Biomasse im Boden sorgt, und blühenden Wildblumen und Senf für die Insekten. Die Umstellung auf sanften Rebschnitt, um die Weinstöcke schonender zu behandeln und ihre Widerstandskraft zu erhalten, gehört ebenfalls zu den Maßnahmen, mit denen Gaia Gaja den klimatischen Herausforderungen Rechnung trägt. „Wir haben eine eigene Veredelung, in denen wir unsere Rebstöcke selektieren. Dabei achten wir inzwischen vor allem darauf, dass sie eine hohe Fähigkeit mitbringen, Krankheiten abzuwehren und zu überwinden“, erklärt sie bei der Vorstellung des aktuellen Jahrgangs des Gaja Barbaresco DOP 2018 und Camarcanda DOP 2018. Um der Insektenvielfalt in den Weinbergen auf die Sprünge zu helfen, kaufte sie entsprechende Tiere auf einer Farm zu. So sind die Weinberge Gajas nicht nur in Barbaresco, sondern auch in der Toskana heute voller blühender Pflanzen und Tiere. Und weil auch vor den Weinbergen Gajas der Klimawandel nicht halt macht, hat sie aktuell Land in rund 700 Metern Höhe erworben. Davon verspricht sie sich in der Zukunft mehr Handlungsspielraum, um weiter Weine mit Frische, Säure und Anspruch auf wortwörtlich hohem Niveau keltern zu können.


Autor/-in Kristine Bäder

Weinjournalistin

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